Aus: "600 Jahrfeier St. Gertrudis-Pfarre", Festschrift von 1950 (zurück)

Das Schicksal der St. Gertrudiskirche im Kriege

Im Jahre 1942 nahm der Weltkrieg auch für die Heimat in unserem Bezirk ernstere Formen an. Am 23. Februar 1942 wurden die drei großen Glocken, die im Kriege 1914/18 verschont geblieben waren, für Kriegszwecke zwangsweise demontiert. Nur die kleinere Glocke, die Sterbeglocke, blieb.

In der Nacht zum 1. August 1942 zerstörte eine in die Düssel in der Nähe des Hofes von Jünger niedergehende schwere Mine u. a. die herrlichen Chorfenster der Kirche, deren traurige Trümmer mit einer starken Holzverschalung von außen verkleidet werden mußten, so daß der Chor der Kirche bis nach Kriegsende ganz im Dunkel lag. Im Gertrudiskloster wurde ein Lazarett eingerichtet, das bis zum Kriegsschluß dort verblieb. Der Großangriff der Bomber am 12. Juni 1943 auf Düsseldorf zerstörte die Lierenfelder Kirche fast bis auf die Außenmauern, so daß Gottesdienst dort nicht mehr abgehalten werden konnte. Gerne haben wir die Lierenfelder Katholiken mit ihren Geistlichen in unserer Gertrudiskirche aufgenommen, bis sie notdürftig einen Teil ihres Gotteshauses wieder einrichten konnten. Der während dieser Zeit für Lierenfeld neu ernannte Pfarrer Wirtz mußte seine Einführungsfeier in St. Gertrudis erleben.

Die Nacht vom 22. zum 23. Auqust 1943 war dann die Katastrophennacht für unsere Pfarrkirche. Es war ein Angriff auf den Vorort-Rahmen der Stadt Düsseldorf im Norden, Osten und Süden. Gegen 2 Uhr nachts prasselte ein Regen von Brandbomben im Zuge von Straußenkreuz, Alt-Eller, Gertrudisstraße bis Gumbertstraße nieder. Die meisten Brandbomben und Kanister fielen glücklicherweise ins freie Land am Straußenkreuz und am Schloßhof und in die Gärten an der Düssel. Der Bauernhof von Jünger brannte lichterloh und in den Garten des Pfarrhauses fielen 41 Brandbomben, glücklicherweise nur zwei davon in die Waschküche. Kaum waren wir diese am Löschen, da kam die Meldung: ,,Das Dach der Kirche brennt am Turm und am Chor." Der mit dem Küster zur Kirche eilende Pfarrer sah in Alt-Eller, Gertrudisstraße und Dietrichstraße eine Reihe von Häusern in den Dachstühlen brennen. Die Straßen waren besät mit brennenden Stabbomben. Das Dachgestühl der Kirche brannte an mehreren Stellen. Gleich schlugen auch schon die Flammen durch die Öffnungen im Gewölbe, die von Stabbomben durchschlagen waren. Kaum hatte der Pfarrer das Sanctissimum im Klosterkeller in Sicherheit gebracht, da brannte auch schon die Empore und das Gehäuse der Orgel. Kaplan Lampmann war im Felde, Kaplan Kurscheid in Urlaub, Kaplan Lüttgenau war gerade von seiner Fußamputation aus dem Krankenhaus entlassen und konnte deshalb kaum gehen. Die Männer der Pfarre waren fast alle im Einsatz. Die noch während des Angriffs herbeieilenden Gläubigen mußten sich auf die Rettung des Inventars beschränken, weil nur noch die Feuerwehr dem Feuer im Dachstuhl hätte Einhalt gebieten können. In der größten Not rückten auf einmal aus dem Arbeitslager in der Bernburger Schule etwa 50 junge Franzosen im Laufschritt an und schafften mit den Katholiken und manchen hilfsbereiten Andersgläubigen unter eigener Lebensgefahr alle Möbel aus Kirche und Sakristei mit den Paramenten auf die umliegenden Straßen. Der Turmhelm brannte wie eine riesige Fackel zum düstern Nachthimmel hinauf, bis er sich neigte und brennend abstürzte, durch die beiden letzten Gewölbejoche hindurchschlagend in das Innere der Kirche. 21 Bänke fielen dem Feuer in der Kirche zum Opfer. Die Sterbeglocke stürzte aus dem Turm wimmernd ab und zersprang beim Aufschlag, das ganze Dachgestühl brannte aus, die Orgel mit Spieltisch und Notenschrank war nur noch ein Haufen von Asche. Die Lautsprecheranlage und die Motore des elektrischen Glockenantriebes mit allen elektrischen Leitungen zerschmolzen in der Glut und 17 große Kirchenfenster zersprangen durch die Hitze. So war aus der schönen Gertrudiskirche nur noch eine brennende, qualmende und rauchende Ruine geworden.

Der Kirchturm von St. Gertrud in Flammen St. Gertrud in Flammen

Da endlich gegen 3.30 Uhr morgens kam ein Löschzug der Hildener Feuerwehr zu Hilfe, der mit aller Bemannung 50 Minuten auf der Gumbertstraße tatenlos stehen bleiben mußte, weil die politische Leitung trotz aller telefonischen Anrufe den Einsatzbefehl so lange zurückhielt. Zu Ehren der Hildener Feuerwehrleute sei gesagt, daß sie innerlich erschüttert waren über dieses verbrecherische Verhalten der verantwortlichen politischen Leiter. Durch das Eingreifen der Feuerwehr wurde die weitere Ausdehnung des Brandes eingedämmt. Morgens gegen 10 Uhr konnte die Feuerwehr abrücken und - wie zum Hohn schickte dann die politische Leitung einige SA-Männer, die die Straßen um die Kirche abriegeln sollten, um den Diebstahl des dort herumstehenden Kirchengutes zu verhindern.

Gleich am Morgen nach dem Brande begannen tapfere Frauenhände die Aufräumungsarbeit in der Kirche, viele Männer halfen die Nacht durch, und am Abend kamen wiederum in dankenswerter Weise die jungen Franzosen aus der Bernburger Schule, um das Innere der Kirche vom Schutt zu befreien. Die jungen Franzosen wollten durch diese feine Hilfeleistung uns ,wohl auch den Dank dafür abstatten, daß wir Priester an St. Gertrudis ihnen trotz des Verbotes der Gestapo öfters still Gottesdienst in der Klosterkapelle abhielten und sie nicht ohne seelsorgerliche Betreuung in der Fremde verkümmern ließen. Die Gestapo überlegte damals, ob nicht gegen den Pfarrer, der die Hilfe der Franzosen dankbar öffentlich anerkannte, ein Verfahren wegen Landesverrat einzuleiten sei, was allerdings doch schließlich unterblieb.

Die vom Luftangriff schwer beschädigte Pfarrkirche St. Gertrud

Am Abend des 25. August waren das Chor, das vordere Mittelschiff und die beiden Kreuzschiffe bis zur Kanzel so notdürftig wieder hergerichtet, daß provisorisch dort wieder die hl. Messe gefeiert werden konnte, während die beiden zerstörten Gewölbejoche über dem Hauptschiff und über der Orgelempore wie ein gähnendes Loch zum freien Himmel hinaufblicken ließen. Alle Bemühungen, dieses gähnende Loch durch ein provisorisches Notdach zu schließen, fanden nur kalte Ablehnung bei den zuständigen Genehmigungsbehörden. So mußten wir uns denn entschließen mit Einbruch der novemberlichen Regenzeit und der beginnenden Winterkälte am 14. November 1943, dem Kirchweihfest, für die Wintermonate eine Notkapelle im Kloster zu beziehen, die wir durch Verbindung des Gertrudissaales mit dem Mariensaal herstellten. Der ursprüngliche Bühnenraum war zum Altarraum umgestaltet. Nun hatte Eller sein fünftes Gotteshaus - eine sehr bescheidene Diasporakapelle -, drei Räume, die mit der eigentlichen Klosterkapelle und mit den Gängen und Treppenhaus etwa 450 Personen die Teilnahme am Sonntagsgottesdienst ermöglichten.

Indessen erwiesen sich diese Kapellennoträume doch als zu klein. Da noch immer keine Erlaubnis zur Herstellung einer Notbedachung über den beschädigten Gewölben der Kirche von den Behörden zu erreichen war, kam der Küster Zimmermann mit der Ellerer Baufirma Rissart und dem Dachdecker Hoffmann auf den klugen Gedanken, vom Innenraum der Kirche her ein Holz-Baugerüst in das große Loch im Gewölbe hineinzubauen, und, unsichtbar von außen, ein Notdach aus Holz und Pappe von innen aus herzurichten. Da alles ohne Genehmigung der Baupolizei geschehen mußte und daher auch amtlicherseits kein Material zur Verfügung stand, war es nicht leicht, das notwendige Material für die Fertigstellung herbeizuschaffen. Und doch halfen von Nah und Fern gute Leute mit Geld und Material, und langsam gingen die mühevollen Arbeiten ihrer Vollendung entgegen.

Ein schwieriges Problem war die Trockenlegung des Kirchenraumes. Das gesamte noch erhaltene Gewölbe lag durch die Vernichtung des Dachstuhles schutzlos dem Regen, Schnee und Frost ausgesetzt. Und da das ganze Gewölbe aus porösem, leichtem Schwemmstein hergestellt war, saugten diese Schwemmsteine sich bei Regen und Schnee mit Wasser voll. Dieses Wasser regnete dann aus allen Poren der Schwemmsteine vom Gewölbe in das Innere der Kirche hinein, während an den Wänden und Pfeilern das Wasser bei anhaltendem Regenwetter geradezu in Bächen herniederrauschte. Dadurch wurde in der Kirche trotz des Daches bei Regenwetter jeder Gottesdienst unmöglich. Dazu kam noch die Gefahr, daß bei einbrechendem Frost das Wasser in den Schwemmsteinen fror und dadurch die Gewölbe auf die Dauer einstürzen mußten.

Wiederum war es der findige Küster, der auf den Gedanken kam, den Rest des noch erhaltenen Gewölbes von oben her mit einer Zementschicht von 2-3 cm abzudecken. Der Umfang dieser Arbeit läßt sich vielleicht aus der Tatsache ermessen, daß hierfür 125 Sack Zement in Eller zusammengebettelt werden mußten.

Die Kirchenmauern wurden dann in den Gewölbezwickeln an 32 Stellen durchschlagen, was bei der Dicke der Mauer von 80-100 cm eine sehr mühselige Arbeit war. Durch diese geschlagenen Löcher im Gemäuer konnte dann durch abgeschrägt eingesetzte Rohre das in den Gewölbezwickeln sich ansammelnde Regen- und Schneewasser nach außen abgeleitet werden. 5 Monate Arbeit mitten im Winter und Frühjahr schafften das Werk. Dankbar sei deshalb an dieser Stelle des stets opferbereiten Küsters und einiger getreuer Männer und Jungen aus der Pfarre gedacht, die mit dem allzeit einsatzbereiten frohen Kaplan Kurscheid gemeinsam in Regen und Schnee, in Sturm und Frost das Gotteshaus so wieder trocken legten. Sie ermöglichten es durch ihre Opfer, daß wir zu Ostern 1944 in die Pfarrkirche zurückkehren konnten und trotz aller Notstände ein frohes Alleluja wieder sangen, selbst wenn die Osterglocken verstummt waren und statt der brausenden Festklänge einer Orgel nur ein kleines Harmonium vom Seitenschiff her sein bescheidenes Stimmchen ertönen ließ.

Aber Ostern 1944 war noch nicht das Ende des Krieges, das für uns erst am 17. April 1945 kommen sollte. In der Zwischenzeit mußten wir noch viel Schweres erdulden. Die Luftangriffe nahmen ein ungeheures Ausmaß an. Von Ostern 1944 bis Jahresschluß hatten wir in Düsseldorf allein 861 mal Fliegeralarm, und 952 Stunden bei Tag und Nacht haben wir, weil größere Gefahr im Verzuge war, im Keller zubringen müssen. Mehrere Bomben kamen noch in der Nähe der Kirche herunter, die vor allem die Kriegerkapelle und Taufkapelle beschädigten. Als zu den Luftangriffen die Westfront von Aachen auf Düren und Jülich vorrückte, merkten wir sehr bald fühlbar die Frontnähe durch anhaltende Fliegertätigkeit, Angriffe der feindlichen Tiefflieger auf Bahnanlagen und Eisenbahnzüge, wobei sehr oft der Ellerer Abstellbahnhof das Ziel war. Die Schulen wurden geschlossen, die Spendung der hl. Firmung mußte in Holthausen unterbleiben wegen der Tieffliegergefahr. Die für Ostern 1945 vorgesehene hl. Erstkommunion von 60 Kindern mußte auf Weihnachten 1944 vorverlegt werden, da die Behörden für 1945 mit der Möglichkeit der Evakuierung rechneten. Der Kommunionunterricht wurde größtenteils im Klosterkeller gegeben und wurde oft noch durch Fliegeralarm unterbrochen. Was an Männern unter 65 Jahren noch hier war, kam zum Schanzen auf die linke Rheinseite (u. a. auch unser Küster), Mädchen von 17 Jahren kamen zur Flak usw.

Exequien konnten nur, um einigermaßen vor Fliegeralarm. geschützt zu sein, von Oktober 1944 an im Dunkeln morgens um 7 Uhr gefeiert werden. Die Beerdigungen verzögerten sich um Stunden durch anhaltende Alarmzustände. Sonntäglich fielen oft die späteren Messen wegen anhaltender Alarmzustände aus, und auch die Abendmessen mußten wegen Fliegeralarms oft abgebrochen werden.

Diese Zustände wurden noch schlimmer, als die Amerikaner auf der linken Rheinseite am 28. Februar 1945 sich vor Düsseldorf festsetzten. In und um Eller wurde Artillerie zusammengezogen, die zum Teil auf dem Felde zwischen Schloßhof und Düssel in Stellung ging. Artillerie und schwere Minenwerfer lagen im Eller Forst. Anscheinend vermuteten die Amerikaner auf unserem Kirchturmstumpf eine Beobachtungsstelle der Artillerie, so daß Eller, vor allem die Umgebung der Kirche, bei Tag und bei Nacht unter dem heimtückischen Aribeschuß lag. Es gab Tote und Verletzte. Der Gottesdienst in der Pfarrkirche mußte fast gänzlich eingestellt werden. Für die wenigen Gläubigen, die sich aus den Notquartieren ihrer Keller noch hinaus getrauten, wurde eine neue Notkapelle im Durchgang des Klosters eingerichtet, und im Küchenzimmer der Altarraum geschaffen. Nur sonntags wurde in der Kirche frühmorgens halbstündlich die Generalabsolution gegeben und auch ohne die Feier der hl. Messe die hl. Kommunion ausgeteilt. Größere Leichenbegängnisse zu den Friedhöfen waren unmöglich geworden. Die Toten wurden zwischen 7 und 9 Uhr, unabhängig von der Beerdigung, in den Gräbern eingesegnet. Einmal schlugen Granaten in die mit Pappsärgen gefüllte Friedhofskapelle ein und hinterließen einen schrecklichen Anblick.

Ein anderes Mal - es war am Osterdienstag - schlug eine Granate in den Keller des Klosters ein und zerstörte im Schwestern-Schlafraum Betten, Kleider und Wäsche, während die sechs Schwestern oben im Klosterdurchgang in der hl. Messe waren und dadurch fast wie durch ein Wunder vor einem furchtbaren Tode bewahrt wurden.

Der restliche Turm der Gertrudiskirche war ein beliebtes Ziel für den Aribeschuß. In der Nacht zum Passionssonntag schlugen schwere Granaten in den Kirchturm ein, zerstörten mit den herabstürzenden Mauerstücken die Taufkapelle und den Rest der Orgelempore und lockerten die Südost-Ecke des Turmes derart auf, daß wegen weiterer Einsturzgefahr des Turmes die Umgebung abgesperrt werden mußte. Die Außenmauern der Kirche, des Klosters und der benachbarten Häuser wurden durch Granatsplitter schwer mitgenommen.

Die Karwoche wurde im Klosterdurchgang gefeiert: Der Karfreitag mußte wegen des anhaltenden Aribeschusses ganz ohne Gottesdienst bleiben, als einziger Tag im ganzen Kriege. Am Ostersonntag 1945 wurden in vergeblicher Hoffnung auf Ruhe des Arifeuers von 5 Uhr früh einige hl. Messen halbstündlich gefeiert, das feierliche Hochamt konnte aber nicht mehr gehalten werden. Am 17. April 1945 rückten endlich die amerikanischen Truppen von Schloß Eller und Jägerhaus her in Eller ein und brachten uns damit die erlösende Befreiung von Bombenkrieg und Aribeschuß.

Unsere Kirche aber lag da als traurige Ruine, nachdem die Granatsplitter des Aribeschusses sämtliche Fenster der Kirche gründlich zerstört hatten mit Ausnahme der drei Fenster im rechten Kreuzschiff und einem Fenster an der Kanzel, deren Schäden durch Reparatur wieder geheilt werden konnten.

Trotz aller Heimsuchungen aber dankten Priester und Gläubige in einem andächtigen Tedeum Gott dem Herrn dafür, daß uns noch schlimmere Heimsuchungen erspart geblieben waren.